Was sind Stechimmen?

Die hier behandelten Insektenfamilien zählen allesamt zu den Stechimmen (Hymenoptera, Aculeata) und sind eine Teilgruppe der sehr artenreichen Hautflügler. Die Weibchen der Stechimmen unterscheiden sich von den übrigen Hautflüglern durch den Besitz eines Wehrstachels, er bei den anderen Familien fehlt. Die Stechimmen sind zusammen mit den Schlupfwespen (Ichneumonoidea), Erzwespen (Chalcidoidea), Gallwespen (Cynipoidea) und einigen anderen Familien zudem durch die namensgebende Wespentaille charakterisiert, während den Blatt- und Holzwespen (Symphyta) als letzte große Hauptflüglergruppe diese Taille fehlt. Insgesamt kommen in Deutschland rund 10.000 Hautflüglerarten vor. Davon sind 1.176 Stechimmen.

In ihrer Lebensweise unterscheiden sich die meisten Stechimmen von den anderen Hauptflüglern, dass sie Brutfürsorge betreiben und ihre Larven in selbst angelegten Brutzellen oder –kammern mit Nahrung versorgen. Diese besteht entweder aus Insekten oder Spinnen bzw. deren Larven und ist damit räuberisch. Bienen und Honigwespen sind zu einer vegetarischen Lebensweise übergegangen und tragen Nektar und Pollen ein. Rund ein Viertel aller Stechimmenarten hat eine brutparasitische Lebensweise entwickelt und parasitiert vor allem die Larven anderer Stechimmen. Da die Parasitenlarve die Larve des Wirtes dabei tötet, spricht man dvon Parasitoiden. Echte Parasiten lassen ihren Wirt hingegen am Leben. Die Familie der Goldwespen lebt komplett parasitisch, meist bei anderen Stechimmenarten. Einige stammesgeschichtlich ursprüngliche Familien wie die Rollwespen, die Dolchwespen oder manche Spinnenameisen parasitieren Käferlarven und betreiben keine Brutfürsorge mehr. Darüber hinaus gibt es verschiedene spezielle Anpassungen an andere Wirte oder Lebensweisen.

Die größte evolutionäre Leistung der Stechimmen neben dem Wehrstachel war die Entwicklung der sozialen Lebensweise. Kastenbildung, ein hoher Grad an Spezialisierungen und die Entwicklung oftmals mehr- bis vieljähriger Völker erwies sich als großer Vorteil für das Überleben der Arten. Die Honigbiene sowie die Ameisen stehen dafür als Paradebeispiel. Mit Ausnahme der Termiten sind die Stechimmen dabei die einzigen Insekten, die diesen Schritt geschafft haben. Eine hoch entwickelte soziale Lebensweise findet sich bei den Bienen, den Faltenwespen sowie den Ameisen. Primitive Formen finden sich auch in anderen Familien. Wesentlich ist, dass die soziale Lebensweise in der Evolution mehrfach entstanden ist.

Vor allem die Wildbienen erfreuen sich aktuell einer großen Beliebtheit und Popularität. Diese Insektengruppe wird auch als Standardgruppe für tierökologische Untersuchungen und naturschutzfachliche Gutachten eingesetzt.

Die verschiedenen Wespenfamilien genießen in der Naturschutzplanung hingegen eher ein Nischendasein, obwohl sie in ihrer Lebensweise und in ihren Lebensraumansprüchen ähnlich vielseitig sind. Bei naturschutzfachlichen Bewertungen bieten sie vor allem in trockenwarmen Lebensräumen oder Sandlebensräumen zahlreiche ergänzende Aussagen zu den Wildbienen.

Die ökologisch ebenfalls sehr wichtige Familie der Ameisen wird hier nicht behandelt, ebenso wie die beiden sehr artenarmen und seltenen Familien der Zikadenwespen (Dryniidae) und Blattkopfwespen (Bethylidae).

Nachfolgend werden die Familien näher charakterisiert, zudem werden Hinweise auf die aktuelle Bestimmungsliteratur und neuere Entwicklungen in Taxonomie und Nomenklatur gegeben.

Die Wildbienen umfassen in Deutschland aktuell 591 Arten. Die Artenzahl ist jedoch in stetem Fluss, weil derzeit vor allem im Süden Deutschlands stetig neue Arten einwandern. Zudem werden viele Artengruppen derzeit vor allem mit genetischen Methoden taxonomisch neu untersucht, was regelmäßig zu neuen Arten führt. Früher wurden alle Bienenarten in einer Familie „Apidae“ zusammengefasst, inzwischen werden die Arten jedoch fünf verschiedenen Familien zugeordnet. Da der wissenschaftliche Begriff für die Überfamilie „Apoidea“ auch die Grabwespen umfasst, verwende ich hier den Begriff „Apiformes“ für alle Bienen. Alternativ findet sich in der Literatur auch die Bezeichnung „Anthopila“. Hier werden alle Arten nach Gattungen und Arten alphabetisch geordnet aufgelistet, ohne auf die Familieneinteilung Rücksicht zu nehmen. Für die Diskussion der Verwandtschaftsverhältnisse sei auf die entsprechende Literatur verwiesen (z.B. Scheuchl & Willmer 2016). Wildbienen betreiben Brutfürsorge und ernähren ihre Larven mit Pollen und Nektar. Hierbei sind viele Arten noch spezialisiert. Etwas ein Drittel aller Bienenarten sammelt dabei Pollen nur an einer einzigen Pflanzenfamilie, -gattung oder –art. Diese Spezialisierung wird „oligolektisch“ genannt, im Gegensatz zu den „polylektischen“, nicht oder nur wenig spezialisierten Arten. Eine weitere Spezialisierung der Wildbienen besteht hinsichtlich der Nistplatzwahl. Rund zwei Drittel der Bienen sind „endogäisch“ und graben ihre Nester aktiv in den Boden. Hier bestehen sehr unterschiedliche Ansprüche bei der Bodenart (Sand, fester Boden), Exposition (flacher Boden, Hangkanten, Steilwände) oder der Vegetationsdeckung. Ein weiteres Drittel lebt oberirdisch („hypergäisch“) und besiedelt Käferbohrlöcher in Totholz, alte Pflanzenstängel und andere Strukturen. Dazu gibt es noch verschiedene spezielle Anpassungen wie Schneckenhausbesiedler, Mörtel- oder Harznestbauer und andere. Diese unterschiedlichen Ansprüche machen Bienen für die Landschafsplanung sehr interessant, weil aus dem Vorkommen von Arten auf die Ressourcen geschlossen werden kann, bzw. sich daraus Hinweise für den Schutz und die Entwicklung der Lebensräume ergeben. Etwa ein weiteres Drittel der Bienenarten ist zu einer parasitoiden Lebensweise übergegangen. Die Weibchen dieser „Kuckucksbienen“, wie sie auch genannt werden, schmuggeln ihr Ei in das Nest ihres Wirtes. Die Larve entwickelt dort von den Nahrungsvorräten des Wirtes auf Kosten der Wirtslarve. Die Hummeln, die Honigbiene sowie einige Furchenbienen leben sozial. Sie bilden Völker mit einer Kastenbildung aus, die bei der Honigbiene zum Teil über viele Jahre bestehen können. Die meisten übrigen Arten leben in einjährigen Völkern. Die Honigbiene ist eine domenstizierte Art, deren Wildform in Mitteleuropa ausgestorben ist. Honigbienen überleben nur noch in der Obhut des Imkers.
Die Grabwespen sind die Schwestergruppe der Bienen und mit 273 Arten die zweitgrößte Stechimmenfamilie in Deutschland. Ursprünglich haben sich die Bienen dabei aus der Grabwespengattung Ammoplanus oder einer nahe verwandten Gattung heraus entwickelt (Sann et al. 2018) und dabei ihre Larvennahrung von Insekten auf Pollen umgestellt. Früher wurden die Grabwespen in einer Familie „Sphecidae“ zusammengefasst und später in fünf Familien unterteilt (Melo 1999). Neuere genetische Untersuchungen (Sann et al. 2018) teilen die Grabwespen inzwischen in zehn verschiedene Familien auf, der alte Stammbaum mit fünf Familien (Melo 1999) ist dabei nicht mehr haltbar. Aus praktischen Gründen fasse ich alle Grabwespen unter dem Begriff „Spheciformes“ zusammen und führe sie nach Gattungen und Arten alphabetisch auf. Grabwespen leben wie Bienen endo- und hypergäisch und legen ihre Nester artspezifisch an sehr vielen verschiedenen Stellen an. Als Larvennahrung tragen sie Insekten, Spinnen oder deren Larven ein. Die Beute wird mit einem Stich ins Nervenzentrum gelähmt und dann lebend in die Brutzellen verbracht. So erhalten die Larven frische Nahrung. Die Arten der Gattung Nysson leben als Brutparasitoide bei anderen Grabwespenarten.
Die Goldwespen umfassen 103 deutsche Arten und stellen damit die drittgrößte deutsche Stechimmenfamilie dar. Sie unterscheiden sich von allen anderen Stechimmen durch ihre lebhaften roten, grünen oder blauen metallischen Farben und stellen die Juwelen unter den Stechimmen dar. Alle Arten leben hochspezialisiert als Brutparasitoide bei anderen Stechimmen und nutzen hier sowohl Wirtsarten, die im Boden, in Totholz, in Schneckenhäusern oder an anderen Stellen nisten. Lediglich die Gattung Cleptes ist auf die Larven bzw. Puppen von Pflanzenwespen als Wirte spezialisiert.
Die Wegwespen sind mit 97 deutschen Arten die viertgrößte Familie der Stechimmen. Alle Arten jagen Spinnen als Larvennahrung. Dabei fängt jedes Wegwespe nur eine Spinne pro Brutzelle, lähmt diese durch einen Stich und ernährt damit ihren Nachwuchs. Die meisten Wegwespen graben ihre Nester in den Boden, andere nutzen Mauerspalten oder gleich die Wohnröhren ihrer Beute-Spinnen, andere legen Nester in Totholz an oder mörteln Brutzellen aus Lehm. Die Arten der Gattungen Evagetes, Ceropales sowie einige weitere Arten leben als Brutparasiten bei anderen Wegwespen. Wegwespen werden bisher in drei Unterfamilien unterteilt. Doch diese Einteilung ist vermutlich hinfällig, weil neue genetische Untersuchungen eine andere Einteilung ergeben werden. Wir führen hier alle Wegwespen nach Gattungen und Arten alphabetisch auf.
Mit 87 deutschen Arten sind die Faltenwespen eine weitere zahlenmäßig wichtige Familie der Stechimmen. Sie umfassen so bekannte Arten wie die Hornisse oder die Deutsche Wespe, die so manche Grillparty oder Kucheneinladung im Sommer zur Qual werden lässt. Die Familie umfasst vier sehr unterschiedliche Unterfamilien. Die Sozialen Faltenwespen oder Vespinae gehören zu den bekanntesten Vertretern überhaupt. Die meisten Arten leben sozial, bauen große einjährige Nester und haben eine Königin sowie eine Arbeiterinnenkaste, die wie bei den sozialen Bienen aus sterilen Weibchen besteht. Sie leben räuberisch und fangen vor allem Fliegen. Die Feldwespen oder Polistinae sind ebenfalls soziale Arten mit einer eher unauffälligen Lebensweise. Eine Reihe sozialer Arten ist zu einer sozialparasitischen Lebensweise übergegangen. Die Weibchen übernehmen Nester der Wirtsart mitsamt den Arbeiterinnnen und prodizieren selbst nur Geschlechtstiere, aber keine eigenen Arbeiterinnen. Die dritte und größte Unterfamilie sind die solitären Faltenwespen oder Eumeninae, deren Lebensweise mit der der Grabwespen vergleichbar ist. Es gibt Bodennister, Totholznister, Mörtelnestbauer und in Südeuropa auch Schneckenhausbesiedler. Alle Eumeninae tragen unbehaarte Larven bzw. Raupen von Käfern, Schmetterlingen oder Blattwespen als Beute ein. Eine Außenseiterrolle nehmen die beiden deutschen Arten der Honig- oder Pollenwespen (Masarinae) ein. Sie sind wie die Bienen Vegetarier, weil sie auf Pollen und Nektar als Larvennahrung umgestiegen sind. Von den zwei deutschen Arten gilt eine als ausgestorben, die zweite kommt sehr selten in warmen Muschelkalkgebieten in Süddeutschland bis Thüringen vor.
Neben den oben aufgeführten Stechimmenfamilien gibt es in Deutschland noch eine Reihe weiterer artenarmer Familien, die ausschließlich parasitisch leben und die meist nur selten gefunden werden. Die Weibchen der ameisenartigen Spinnen- und Trugameisen (Mutillidae mit 11 Arten und Myrmosidae mit 2 Arten) sind flügellos und graben sich im Sand zu den Nestern von Grabwespen vor, um dort ihre Eier abzulegen. Einige Arten wie die Gattung Physetopoda parasitieren auch Blattkäferlarven, die in Ameisennestern leben. Die Gattung Mutilla entwickelt sich in Hummelnestern. Die vier Arten der Keulenwespen (Tiphiidae) parasitieren holzbewohnende Bienenarten und sind häufig auch an Wildbienenhotels zu finden, während die Weibchen der beiden deutschen Arten der Dolchwespen (Scoliidae) im Boden oder Kompost nach den Larven von Blatthornkäfern graben um dort ihre Eier abzulegen. Dolchwespen sind noch nicht in Hamburg nachgewiesen. Eine Art, die Behaarte Dolchwespe Scolia hirta ist jedoch in Brandenburg häufig und bereits bis Niedersachsen vorgedrungen. Sie könnte über das Elbtal auch bald den Ostrand von Hamburg erreichen. Die sechs deutschen Arten der Rollwespen teilen sich auf die beiden Familien der Thynnidae und Tiphiidae auf. Die Sandlaufkäfer-Rollwespe Methocha articulata jagt, wie der Name schon sagt, die Larven von Sandlaufkäfern, um diese zu parasitieren. Die übrigen Arten der Gattung Tiphia entwickeln sich an bodenbewohnenden Larven von Blatthornkäfer.

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